Mann kann Jesus verlieren – Predigt zum Fest der Heiligen Familie

Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit der Geschichte geht, die uns das Evangelium gerade vorgestellt hat:
Ehrlich gesagt kann ich es mir nur schwer vorstellen, was da mittendrin geschildert wurde.
Dass Maria und Josef auf dem Rückweg von Jerusalem einen ganzen Tag nicht merken, dass der 12-jährige Jesus sich nicht mit auf den Rückweg gemacht hat. 
Außerdem frage ich mich, warum sie drei Tage des Suchens gebraucht haben, bis sie Jesus schließlich im Tempel finden.

Aber fangen wir noch einmal ganz vorne in der Erzählung an. 
Und stellen wir uns die Frage, was diese Erzählung des Evangelisten Lukas uns seinen Hörern zu sagen hat.

Der Tradition entsprechend ziehen Maria und Josef wieder zum Paschafest nach Jerusalem und nehmen auch den 12-jährigen Jesus mit. Jesus ist genau in dem Alter, in dem ein jüdischer Junge auch heute noch Bar-Mizwa feiert, das Fest, mit dem er Religionsmündig wird. Ab diesem Alter gilt der Junge nach jüdischem Gesetz als verantwortlich für die Einhaltung der religiösen Gebote (Mitzwot).

Als sie auf dem Rückweg schon einen Tag unterwegs waren, stellen Maria und Josef fest, dass sie Jesus verloren haben. 

Liebe Schwestern und Brüder!
Vielleicht haben Sie auch schon einmal Jesus verloren. 

Ja – man kann Jesus verlieren. Sogar bei einer Wallfahrt, sogar als gläubiger Mensch und das ist keine Schande und kein Beinbruch. Auch Maria und Josef haben Jesus verloren.

Ich habe ihn auch schon verloren. Es war in meinem dritten Kaplansjahr. Da war von einem Tag auf den anderen eine Freundschaft mit einem damaligen Mitbruder zu Ende. Ich hatte viel Kraft und Zeit in diese Freundschaft investiert und so hat mich das sehr mitgenommen. In der Folge habe ich mich voll in die Arbeit gestürzt und gar nicht mehr auf mich geachtet. Und auch meine Beziehung mit Jesus nicht gepflegt. Und ich habe Jesus verloren. Und als ich dann mit psychischer Erschöpfung 
im Krankenhaus gelandet war wurde mir klar: Martin, Du hast Jesus verloren. 
Später durfte ich erkennen, dass für mich diese Erfahrung sehr wichtig war und ich denke, dass ich heute nicht hier wäre, wo ich bin und wie ich bin, wenn ich IHN damals nicht verloren hätte.

Heute kann ich sagen: Es ist nicht schlimm, wenn man IHN verliert. Gerad in Krisensituationen und an Wendepunkten des Lebens kann das passieren und man braucht keine Angst davor haben: 
Auch Maria und Josef haben diese Erfahrung gemacht, haben Jesus verloren.
Sie suchten ihn bei ihren Verwandten und Bekannten, berichtet das Evangelium, und als sie ihn dort nicht fanden, kehrten sie um und gingen zurück nach Jerusalem. Dort brauchen Sie erstaunlicherweise DREI Tage, um ihn schließlich im Tempel zu finden. Haben sie sich das nicht denken können, dass er dort ist? Sie kannten IHN doch. So riesig war Jerusalem auch nicht, dass man DREI Tage suchen muss.

Die Zahl DREI ist uns ja wohl bekannt. DREI Tage wird es brauchen, bis Jesus von den Toten aufersteht. Der Prophet Jona ist drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches.
Was für eine Prüfungszeit für Maria und Josef. Ja, wenn man Jesus verloren hat und es merkt, kann es wie eine Prüfungszeit sein, wie das Warten auf die Erlösung. Doch wenn man IHN sucht, kann man IHN finden.

Als sie Jesus schließlich finden, da fragt ER Maria und Josef ganz verwundert: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49) „Ihr hättet mich doch da und dort nicht zu suchen brauchen.“ Ich muss doch in dem sein, was des Vaters ist.
Manche Übersetzungen sagen hier „dass ich im Haus meines Vaters sein muss?“ Aber das steht im Griechischen nicht da. 
„Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ gibt den Urtext treffend wider.

Ich halte es für legitim, den Ort, an dem Jesus da ist, überall dort – oder besser – in all dem zu suchen, was Gott gehört. Nicht nur im Tempel. Nicht nur in der Kirche. In SEINER Schöpfung. In den Menschen, die ER nach SEINEM Ebenbild erschaffen hat. In der Gemeinschaft derer, die SEINEM Wort folgen. Eigentlich überall MUSS Jesus überall zugegen sein und ER will sich überall finden lassen. Denn ALLES gehört Gott.

Liebe Schwestern und Brüder!
Was will uns das Evangelium heute mitgeben? – So hatte ich zu Beginn gefragt.

Ich nehme aus dem Evangelium mit: Man kann Jesus verlieren.
Auch Maria und Josef habe Jesus verloren.
Auch ich habe IHN schon verloren.

Sie haben IHN gesucht und das kann bisweilen mühsam sein.
Aber ER lässt sich finden.
In der Kirche und natürlich auch im Gottesdienst.
Aber auch in allem, was Gott gehört.

Haben Sie IHN auch schon gefunden?

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