Bei meiner Reise nach Ecuador, die ich im Frühjahr machen durfte, habe ich eine Jesusdarstellung gesehen, die mich sehr beeindruckt hat.
Noch mehr, als ich ihren Namen erfahren habe:
„Señor de la justicia,“ der „Herr der Gerechtigkeit“.
Wir würden diese Darstellung „den gegeißelten Heiland“ nennen.
Die südamerikanische Art ist aber wesentlich drastischer und naturalistischer, als wir das kennen: Ein blutüberströmter, mit deutlich sichtbaren Wunden übersähter, dornengekrönter Jesus, lebensgroß, mit echtem Haar und einem Umhang aus echtem Stoff sitzt auf einem Thron. In den Händen hält er die Weltkugel und das Zepter.
„Señor de la justicia,“ der „Herr der Gerechtigkeit“.
So sieht SEINE Gerechtigkeit aus:
Er leidet, lässt sich verspotten, geißeln und kreuzigen. Der „Herrn der Gerechtigkeit“.
Die menschliche Gerechtigkeit, unsere Gerechtigkeit, sieht da ganz anders aus:
Wir meinen doch mit Gerechtigkeit, dass jeder gleich behandelt werden muss, dass der Unschuldige freigesprochen und der Verbrecher verurteilt wird.
Wir sprechen von der ausgleichenden Gerechtigkeit, die sich bisweilen auch in „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ verwirklicht.
Unsere Gerechtigkeit basiert auf Gesetzen. Auf Regeln, an die man sich zu halten hat. Und wer sich nicht daran hält, muss mit Strafe rechnen.
Unsere Gerechtigkeit muss ohne Ansehen der Person zur Geltung gebracht werden.
Und sind wir ehrlich: sind wir wirklich so weit weg von der Vorstellung der Pharisäer zur Zeit Jesu? Am Ende forderten SIE: „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben!“ (Joh 19,7)
Ganz anders der „Herr der Gerechtigkeit“:
Er ist der, von dem der Prophet Jesaja gesagt hat: „Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich.“ (Jes 53,10)
Er hatte kein Unrecht begangen. Er hatte Menschen geheilt, ihnen die Wahrheit und die Freiheit verkündet. In seinem Mund war keine Falschheit.
Er ist der „Herr der Gerechtigkeit“ und zeigt uns wie Gott Gerechtigkeit schafft:
„Die Gerechtigkeit Gottes besteht in seiner Barmherzigkeit.“ so sagte es Papst Franziskus in seinem Schreiben zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit.
Die Gerechtigkeit Gottes besteht nicht nur in seinem Mitleid.
Die Gerechtigkeit Gottes besteht darin, dass er mit leidet.
Jesus „wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt.
Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,5)
Seine Gerechtigkeit besteht darin, dass er unsere Schmerzen auf sich nimmt. (vgl. Jes 53,4)
Er schaut uns nicht von außen an, er schaut uns nicht von außen zu, sondern trägt mit und leidet mit.
Und leidet unsäglich, wenn wir auf seine Liebe, die er uns zuerst erwiesen, hat nicht antworten.
Darin besteht seine Gerechtigkeit. Darin zeigt sich wahre Liebe.
Gott leidet für uns.
Gott leidet an uns,
weil er uns so sehr leiden kann.
Gott zeigt so, dass er uns liebt, jeden einzelnen, trotz und mit seinen Schwächen.
Jesus, der für uns leidet und sein Leben gibt ist der „Herr der Gerechtigkeit“.