Vordergründig könnte man meinen, dass das Evangelium wieder einmal eine der unzähligen Heilungsgeschichten erzählt:
Ein Kranker wird von Jesus, dem Heiland, gesund gemacht.
Doch diese Perikope schließt noch viel interessantere und wichtigere Details ein.
Da kommt ein Aussätziger und bittet Jesus um Hilfe.
Was die Situation des Aussätzigen so schwer und bedrückend macht, ist nicht etwa seine Krankheit, sondern die soziale Folge seiner Erkrankung.
In der ersten Lesung haben wir gehört, was mit Menschen geschehen soll, an deren Haut sich Veränderungen zeigen, wie eine Schwellung, ein Ausschlag oder ein heller Fleck.
Wer solche Veränderungen vorwies, der musste sich von den Priestern – interessanterweise nicht von den Ärzten – untersuchen lassen und wenn diese Aussatz feststellten, dann war der Mensch ein Aus-Sätziger.
Im schlimmsten Fall ausgeschlossen von der übrigen Gesellschaft mussten die Aussätzigen außerhalb der Stadt hausen, mit Glöckchen und dem Ruf „Unrein“ vor sich selbst warnen. Sie waren komplett aus der Gesellschaft der „Reinen“ ausgeschlossen.
Auch von einer Beziehung mit Gott, die ja die Reinheit voraussetzte, waren diese Menschen ausgeschlossen.
Der Aussätzige, der Unreine, war sozial und religiös tot.
Und ein solcher Aussätziger begegnet Jesus und bittet ihn – interessanterweise – nicht um Heilung. Er bittet ihn um Hilfe: „Er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ (Mk 1,40)
Nicht zuerst „gesund“ sondern „rein“, also wieder ein lebendiges Mitglied der Gesellschaft, der Gemeinde, will der Mann vor allem werden. Nicht mehr als „Unreiner“ aus-gesetzt sein.
Wie es ihm gegangen sein muss, das kann ich mir gut vorstellen.
Hautausschlag ist heute zwar kein Grund mehr einen Menschen aus der Stadt zu jagen, doch komisch angeschaut wird man schon, wenn man sichtbar krank ist.
Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: Wie andere Menschen einen anschauen, wenn man sichtbaren Hautausschlag hat, tut bis in die Seele weh.
Sie wissen, dass auch ich immer wieder Hautausschlag im Gesicht habe. Als ich Jugendlicher war, da war das ganz schlimm.
Ich kenne das Gefühl: die Anderen schauen nur auf meine Haut.
Ihre Augen fragten: „Was ist mit dem los?“
Manchmal entdeckt man neben dem Mitleid in den Blicken der Anderen sogar Abscheu.
Und wenn man selber in den Spiegel schaut, dann fällt es einem schwer, den, der einem da entgegenschaut, zu mögen.
Es tut im Innersten weh.
Der aussätzige Mann begegnet Jesus.
Was Jesus tut, übersetzt die Einheitsübersetzung mit den Worten: „Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will es – werde rein!“ (Mk 1,41)
Was da im griechischen Original steht müsste man noch drastischer übersetzen:
„Es schlug ihm auf den Magen“. „Es fuhr im in die Eingeweide.“ So steht da wörtlich.
Zu innerst ist Jesus berührt. Nicht bedauernd, mitleidig, sondern im Innersten getroffen vom Schicksal dieses Menschen. Es schlägt ihm auf den Magen.
Vielleicht kennen Sie das auch, dass Ihnen etwas auf den Magen schlägt.
Sie haben einen Menschen sehr gern und es geschieht ihm etwas.
Oder er stellt ihnen plötzlich den Stuhl vor die Tür.
Oder sie erfahren von dem Geliebten etwas, was sie zu innerst trifft, schockiert.
Es schlägt Ihnen auf den Magen.
So zu innerst berührt ist Jesus vom Schicksal dieses Mannes.
Und er tut etwas, was für den frommen und gesetzestreuen Juden undenkbar ist:
er streckt die Hand aus und berührt ihn. Jesus, der berührt ist vom Schicksal dieses Menschen, ER berührt diesen Menschen.
Und er sagt – wieder wörtlich übersetzt – „Ich will, werde gereinigt.“ (Mk 1,41)
„Und er wurde gereinigt“.
Nicht Jesus reinigt. Gott reinigt diesen Mann.
Es ist nicht nur der Wille Jesu, dass dieser Mann rein sei.
Es ist der Wille Gottes. Und der Wille Gottes wirkt hier sofort, wird Wirk-lichkeit, wird wahr.
Der Aussätzige ist REIN, sein Aussatz vorbei.
Der Aus-Satz eines Menschen kann nie und nimmer Gottes Willen sein.
Gott will jeden Menschen in seiner ursprünglichen Würde anschauen.
Gott hat jeden Menschen sehr gut und schön geschaffen.
Welch großartige Botschaft!
Entgegen der harschen und deutlichen Anweisung Jesu macht sich der Mann dann auf und erzählt die ganze Geschichte überall.
Ob er das Reinigungsopfer dargebracht hat, das wissen wir nicht.
Aber er erzählt von seiner Erfahrung, mit Jesus.
Er – so übersetzt die neue Einheitsübersetzung richtig – „verkündet“, bei jeder Gelegenheit, was geschehen war. (Mk 1,45)
So ist er – nach dem Markusevangelium – der erste Verkünder der Heilstaten Jesu, der erste Verkünder des Evangeliums.
Der geheilte Mann hat verstanden, dass sich in Jesus die Menschenfreundlichkeit Gottes zeigt, die er unbedingt weiter sagen muss.
Diese Frohe Botschaft kann er unmöglich für sich behalten.
Das Evangelium von diesem Sonntag will uns nicht nur eine Heilungsgeschichte erzählen.
Es will uns sagen:
Gott will nie und nimmer einen Menschen als Aus-Sätzigen behandelt wissen.
Gott will das Heil aller Menschen.
Ihr manchmal so hartes Schicksal schlägt ihm auf den Magen.
Doch Gott selbst berührt das Schicksal des Menschen.
ER berührt es indem er seinen Sohn sendet, der das Heil sichtbar und spürbar allen Menschen – auch mir und Ihnen – bringt.