Warten ist eine Kunst – Predigt zum 11. Sonntag im Jahreskreis

„Warten ist eine Kunst“
Eine Kunst, die mir in unserer Gesellschaft immer mehr abhanden zu kommen scheint.
Alles muss möglichst schnell gehen. Der Erfolg muss sich schnell einstellen.
Schnelles Abnehmen: „10 Kilo in 21 Tagen!“
Man verspricht eine schnelle Rendite.
Und welcher Patient möchte nicht möglichst schnell wieder gesund werden?
Wenn der Zug Verspätung hat oder wir fünf Minuten auf den Bus warten müssen, werden wir ungeduldig.
In der Tat: für die Menschen heute, für uns hier in unserer Gesellschaft gilt wirklich: „Warten ist eine Kunst“ 

Nicht wenigen, und da will ich mich gar nicht ausnehmen, ist die Tugend der Geduld, die Langmut – wie man sie früher nannte – abhanden gekommen. Uns, aber auch den Zuhörern seiner Zeit, legt Jesus dazu ein passendes Gleichnis vor:

„Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.“ (Mk 4,26-29)

Was tut der Bauer in dem Gleichnis?
Er säht und er erntet.
Und in der Zeit zwischen Aussaat und Ernte wartet er.
Er kann gar nichts tun, damit die Saat schneller wächst. Er kann das Wachstum allenfalls beobachten.
Aber die Saat braucht ihre Zeit bis sie aufgeht und den Halm, die Ähre und letztlich die Frucht hervorbringt. Und das geschieht von selbst. Automatä (αὐτομάτη) bringt die Erde die Frucht hervor, steht da auf griechisch.

Das gesunde Wachstum lässt sich nicht beschleunigen.
Der Bauer kann nicht an dem Sprössling ziehen und ihn länger machen. Es wird keine Wirkung haben, wenn er versucht, den Samen anzufeuern.

Das Wachstum braucht seine Zeit.
Das Wachstum braucht Warten.
Das gilt für den Bauern, das gilt für unser Leben, das gilt auch für das Reich Gottes.
Auch die religiösen Dinge, auch unsere Beziehung mit Gott, auch das Wachstum der Kirche, auch die Ausbreitung des Evangeliums, auch das Wachsen von Berufungen braucht Zeit, braucht Warten.

Das Warten, so haben wir vorhin schon gesehen, ist nicht unsere Stärke.
Wir, die Menschen unserer Tage, beherrschen sie nicht besonders gut: die Kunst des Wartens.
„Warten ist eine Kunst“ 
Und diese Kunst zu erlernen, will uns Jesus heute ermuntern.
Die Kunst des Wartens, der Geduld, der Langmut.

Der Bauer im Gleichnis bringt die Geduld auf. Er beherrscht die Kunst des Wartens, das nicht eine Untätigkeit ist:
Er „schläft und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag,“ (Mk 4,27) er geht seinen andern alltäglichen Beschäftigungen nach, während die Erde von selbst ihre Frucht bringt.
Das genau ist die Erfahrung, die er schon immer gemacht hat. Jedes Jahr aufs Neue erlebt er das. Ja er weiß, dass offensichtlich ein Anderer dafür sorgt, dass die Saat aufgeht und Frucht bringt. Der Bauer selbst weiß gar nicht wie. (vgl. Mk 4,27b) Und er muss es auch gar nicht wissen. Er muss nur den Mut aufbringen, dem, der die Saat zum Wachsen bringen kann, zu vertrauen. Er muss den langen Atem besitzen, Wochen und Monate nur zuzuschauen und zuzulassen.

Langmut nennt man das eben. Und wer die aufbringt, der wird spüren, dass das, was er bei der Ernte in seinen Händen hält, nicht sein Verdienst, sondern das Geschenk eines Anderen ist.
Wer die Kunst des Wartens beherrscht, der hat gelernt, sich beschenken zu lassen.
Wer die Kunst des Wartens beherrscht, der weiß, dass das Entscheidende nicht in der eigenen Hand, sondern in der Hand eines Anderen liegt.

Wer die Kunst des Wartens erlernen will, der muss die Erfahrung machen, dass Gott ihn beschenkt.
Wer die Kunst des Wartens erlernen will, muss bereit sein, sich von Gott beschenken zu lassen.
Wer die Kunst des Wartens erlernen will, dessen Hände müssen leer sein – nicht mit allem Möglichen angefüllt – damit Gott ihm seine Geschenke in die Hand legen kann.

Mir scheint unsere Zeit eine Zeit des Wartens zu sein.
Wie schön wäre es, wenn wir das Reich Gottes schon sehen und erleben könnten?
Wie gern wollen wir Hand anlegen, und mitarbeiten an der Ausbreitung des Evangeliums.
Wie viele wünschen sich eine bessere Welt und möchten sich dafür engagieren.
Das ist alles nicht schlecht. Aber das Entscheidende können wir nicht machen.

Wir können, ja wir müssen, nur aussähen, Gutes tun, lieben, Frieden stiften, uns für Versöhnung einsetzen, das Evangelium mit Taten und Worten verkünden.
Aber wachsen lässt ein Anderer. Während wir warten müssen. Während wir warten dürfen, weil wir glauben, dass ER, dass Gott die Saat aufgehen lassen wird, dass Gott sie Frucht bringen lässt.


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