Liebe Heilige! – Predigt am Allerheiligenfest

Liebe Heilige!

Vielleicht wundern Sie sich über diese Anrede „Liebe Heilige“.
Sind SIE Heilige? Vielleicht würden Sie sagen: „Nein, ich bin doch nicht so heilig!“

Aber der Apostel Paulus schreibt seinen ersten Korintherbrief „an die Kirche Gottes, die in Korinth ist – die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen.“ (1 Kor 1,2) Paulus hat offensichtlich kein Problem, die Gläubigen in der Gemeinde als „Heilige“ anzusprechen.

Wenn ich Sie, liebe Schwestern und Brüder, als „Liebe Heilige“ angesprochen habe, und sich in uns innerlich gegen diese Anrede etwas wehrt oder wir es zumindest als seltsam empfinden, dann zeigt das – so meine ich – dass wir vermutlich ein anderes Bild von Heiligen im Kopf haben als Paulus und die frühe Kirche.

Unser Bild von Heiligen ist geprägt von unseren Heiligenbildern:
Auf einem Podest stehende starre Figuren mit unnatürlich frommem Blick. Leicht entrückte Gestalten, die in ihrem Leben Dinge vollbracht haben, die Sie und ich nicht zustande bringen könnten.
Wenn wir heute davon sprechen, dass einer „heilig“ sei, dann meinen wir doch vielleicht eher, dass er ver-rückt, verschroben oder gar scheinheilig ist.

Ich hatte als Jugendlicher auch dieses Bild von Heiligen. Und deshalb sagte ich als Jugendlicher: „Ich will nie ein Heiliger werden!“ Doch wenn wir von den Heiligenbildern weg schauen und die Heiligen genauer betrachten, dann können wir etwas ganz anderes entdecken.

2018 hat Papst Franziskus ein äußerst lesenswertes Schreiben 
mit dem Titel „Gaudete et exultate“ veröffentlicht, in dem er über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute schreibt. Er macht darin deutlich, dass Gott „jeden von uns erwählt, damit wir in der Liebe »heilig und untadelig leben vor ihm«.“ (GE 2)

Papst Franziskus gefällt es, so schreibt er weiter, „die Heiligkeit im geduldigen Volk Gottes zu sehen: in den Eltern, die ihre Kinder mit so viel Liebe erziehen, in den Männern und Frauen, die arbeiten, um das tägliche Brot nach Hause zu bringen, in den Kranken, in den älteren Ordensfrauen, die weiter lächeln.“ (GE 7) 

In diesem alltäglichen Tun sieht Papst Franziskus „die Heiligkeit der streitenden Kirche. Oft ist das die Heiligkeit „von nebenan“, [die Heiligkeit] derer, die in unserer Nähe wohnen und die ein Widerschein der Gegenwart Gottes sind, 
oder, um es anders auszudrücken, „die Mittelschicht der Heiligkeit“.“ (GE 7)

„Um heilig zu sein, muss man nicht unbedingt Bischof, Priester, Ordensmann oder Ordensfrau sein. Oft sind wir versucht zu meinen, dass die Heiligkeit nur denen vorbehalten sei, die die Möglichkeit haben, sich von den gewöhnlichen Beschäftigungen fernzuhalten, um viel Zeit dem Gebet zu widmen. Es ist aber nicht so. Wir sind alle berufen, heilig zu sein, indem wir in der Liebe leben und im täglichen Tun unser persönliches Zeugnis ablegen, jeder an dem Platz, an dem er sich befindet. 
Bist du ein Gottgeweihter oder eine Gottgeweihte? Sei heilig, indem du deine Hingabe freudig lebst. 
Bist du verheiratet? Sei heilig, indem du deinen Mann oder deine Frau liebst und umsorgst, wie Christus es mit der Kirche getan hat. 
Bist du ein Arbeiter? Sei heilig, indem du deine Arbeit im Dienst an den Brüdern und Schwestern mit Redlichkeit und Sachverstand verrichtest. 
Bist du Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter? Sei heilig, indem du den Kindern geduldig beibringst, Jesus zu folgen. 
Hast du eine Verantwortungsposition inne? Sei heilig, indem du für das Gemeinwohl kämpfst und auf deine persönlichen Interessen verzichtest.“ (GE 14)

„Eine Frau geht beispielsweise auf den Markt zum Einkaufen, trifft dabei eine Nachbarin, beginnt ein Gespräch mit ihr, und dann wird herumkritisiert. Trotzdem sagt diese Frau innerlich: „Nein, ich werde über niemanden schlecht reden.“ Das ist ein Schritt hin zur Heiligkeit. 
Zu Hause möchte ihr Kind dann über seine Phantasien sprechen, und obwohl sie müde ist, setzt sie sich zu ihm und hört ihm mit Geduld und Liebe zu. Das ist ein weiteres Opfer, das heilig macht. 
Dann erlebt sie etwas Beängstigendes, aber sie erinnert sich an die Liebe der Jungfrau Maria, nimmt den Rosenkranz und betet gläubig. Das ist ein weiterer Weg der Heiligkeit. 
Dann geht sie aus dem Haus, trifft einen Armen und bleibt stehen, um liebevoll mit ihm zu reden. Das ist ein weiterer Schritt.“ (GE 16)

Man sieht: um heilig zu sein muss man nicht unbedingt etwas spektakuläres vollbringen. Es geht darum, das, was wir ohnehin tun, was von uns gefragt ist und wozu uns die Situation im konkreten Leben herausfordert, mit Liebe zu tun, mit der Liebe, die uns Jesus vorgemacht hat.

„Der Versuch, so zu lieben, wie Christus uns geliebt hat, zeigt, dass Christus sein eigenes Leben als Auferstandener mit uns teilt. Auf diese Weise zeugt unser Leben von seiner Wirkmacht, selbst inmitten menschlicher Schwäche.“ (GE 18)

„Hab keine Angst vor der Heiligkeit. Sie wird dir nichts an Kraft, Leben oder Freude nehmen. Ganz im Gegenteil, denn du wirst dabei zu dem Menschen werden, an den der Vater dachte, als er dich erschaffen hat, und du wirst deinem eigenen Wesen treu bleiben.“ (GE 32)

„Fürchte dich nicht davor, höhere Ziele anzustreben, dich von Gott lieben und befreien zu lassen. Fürchte dich nicht davor, dich vom Heiligen Geist führen zu lassen. Die Heiligkeit macht dich nicht weniger menschlich, denn sie ist die Begegnung deiner Schwäche mit der Kraft der Gnade [Gottes].“ (GE 34) So Papst Franziskus.

Liebe Schwestern und Brüder!
In diesem Sinne möchte ich durchaus heilig werden!
Und in diesem Sinne sind und waren viele Menschen mit uns auf dem Weg zu Heiligkeit.
An sie alle und besonders an die, die schon in der Vollendung bei Gott angekommen sind, denkt die Kirche, wenn wir heute das Fest Allerheiligen feiern. Da feiern wir nicht nur die vielen, die von der Kirche heiliggesprochen wurden, sondern die unzähligen, deren Namen wir nicht kennen, die aber die Heiligkeit erreicht haben und bei Gott sind.

Und wenn wir nachher an die Gräber unserer Angehörigen und Freunde gehen, dann bringen wir unsere Hoffnung zum Ausdruck, dass auch die zur Heiligkeit gelangt und bei Gott angekommen sind.

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